Was am Ende übrig bleibt… Honorarstandards in der freien Musikszene. Ein Aufschlag.
Unser Ziel ist es, die Einkommenssituation selbstständiger Musiker:innen nachhaltig zu verbessern. Dabei ist die Entwicklung von Honorarstandards in der freien Musikszene vor allem auch ein Prozess der Aufklärung und Vermittlung. Wir müssen die Arbeitsstrukturen hauptberuflich selbstständiger Musiker:innen und ihre Rolle in der Kulturlandschaft kennen- und verstehen lernen, ihre Abhängigkeiten von anderen Akteuren und Organisationen betrachten, die Systematik der „Freien Szene“ und ihre Förderstrukturen einbeziehen und über das Zusammenspiel von Einkommen und sozialer Sicherung bei selbstständiger Tätigkeit aufklären.
Als FREO e.V. wollen wir dabei zwei Perspektiven einnehmen: Zum einen die Perspektive der einzelnen Musiker:innen, die als Träger ihrer eigenen Ensemble- und Orchesterorganisationen in unseren Klangkörpern eine besondere Rolle spielen. Zum anderen die Perspektive der freien Klangkörper als Organisationen, die als Auftraggeber:innen nicht nur die Verantwortung für die angemessene Honorierung ihrer festen Mitglieder, sondern auch für alle künstlerischen Gäste und andere Auftragnehmer tragen.
Für den Diskurs brauchen wir eine neue Übereinkunft, eine gemeinsame Grundlage als Ausgangspunkt. Und dazu zählt:
Fragen wie „Und was machen Sie hauptberuflich?“ oder die Annahme, dass selbstständige Musiker:innen überwiegend lieber in einer Festanstellung arbeiten würden, müssen wir hinter uns lassen. Sie ist schlicht falsch.
Selbstständige Musiker:innen sind Unternehmer:innen. Sie müssen über ihr Einkommen nicht nur ihren privaten Lebensunterhalt, sondern auch all diejenigen Bestandteile finanzieren, die zur Aufrechterhaltung und zum Ausbau ihrer wirtschaftlichen Existenz notwendig sind. Neben der sehr offensichtlichen künstlerischen Tätigkeit in Form von Auftritten oder der Teilnahme an Proben gehören dazu auch zahlreiche organisatorische und administrative Aspekte (Vertragsangelegenheiten, Buchhaltung, Korrespondenz, Abrechnung, u.a.), Zeiten individueller Vorbereitung und Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der künstlerischen Fähigkeit und unternehmerischen Kenntnisse (Üben, Proben, Weiterbildungen, u.a.), Aufbau und Ausbau der Sichtbarkeit (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Website, Social Media), Akquisetätigkeiten (Engagements und Fördergelder, Netzwerkpflege, u.a.) und die Investitionen in Infrastruktur und Ausstattung (z.B. Instrumentarium und Equipment, Miete für Räumlichkeiten, Büromaterial, Konzertkleidung, Transportmittel).
Außerdem müssen selbstständige Musiker:innen wie alle Selbstständigen für Urlaubs- und Krankheitszeiten selbst vorsorgen. Zu guter Letzt ist es für sie notwendig, in ihre soziale Sicherung und Altersvorsorge zu investieren (gesetzlich über die Künstlersozialkasse und ggf. die freiwillige Arbeitslosenversicherung oder über private Vorsorgemodelle) und im besten Fall durch Rücklagenbildung für Krisenzeiten vorzusorgen und das unternehmerische Risiko im Blick zu behalten.
All die oben beschriebenen Aspekte sind Teil jeder Hauptberuflichkeit in der Selbstständigkeit und stellen entscheidende Unterschiede zur Situation abhängig beschäftigter Musiker:innen dar. Sie müssen beim Vergleich von freier und angestellter Tätigkeit und bei der Entwicklung von Honorarempfehlungen berücksichtigt werden. Leider vermissen wir im aktuellen Diskurs an vielen Stellen ein Bewusstsein für diese wichtige Ausgangslage. Es scheint eher ein Wettrennen ausgebrochen zu sein mit der Ziellinie: konkrete Empfehlung und Zahl. Dabei sollte die erste Ziellinie heißen: Transparenz, Aufklärung und richtige Berechnungsgrundlage!
Die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) zum Beispiel hat mit ihrer Initiative für Honorarmindeststandards für freie Musiker:innen einen Stein ins Rollen gebracht und erste Erfolge verzeichnet, Kulturpolitik in Bundesländern für das Thema zu sensibilisieren. Die konkret vorgeschlagenen Mindeststandards der DOV jedoch leiten sich direkt von Minimalzahlungen im Orchestertarifvertrag TVK ab und verzichten auf eine Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedingungen hauptberuflich selbstständiger Erwerbstätigkeit. Zieht man von den Sätzen der DOV Anteile wie Urlaubstage, Krankheitstage, Vorbereitungszeiten, unternehmerisches Risiko, Akquiseaufwand sowie Equipment und Verbrauchsmaterial ab, liegt das resultierende Einkommen in einem Bereich, der für eine Hauptberuflichkeit in der Selbstständigkeit nicht ausreichend ist geschweige denn die Leistung von professionellen Musiker:innen angemessen entlohnt. Kurz gesagt: die Empfehlungen der DOV sind zu niedrig. Das Erschreckende: sie sind gleichzeitig in nicht wenigen Fällen immer noch höher als das, was auf dem Markt bezahlt wird.
Dreht man den Spieß einmal um und ergänzt die Empfehlungen der DOV um Anteile für Urlaubstage, Krankheitstage, Vorbereitungszeiten, unternehmerisches Risiko, Akquiseaufwand sowie Equipment und Verbrauchsmaterialien, resultiert wiederum eine Größenordnung, deren Realisierung als Mindeststandard auf dem Markt derzeit nicht möglich ist. Deshalb: wir müssen Transparenz schaffen, den realen Bedarf kommunizieren und den Weg zu angemessenen Honorarstandards als Prozess etablieren.
Eines scheint klar: das Thema einer angemessenen Honorierung selbstständiger Musiker:innen wurde über Jahre vernachlässigt. Zu lange, als dass sich die Versäumnisse der letzten Jahre mit einem Schlag wieder aufholen lassen könnten. Das darf uns trotzdem nicht davon abhalten, die notwendigen Bedarfe offen und ehrlich zu kommunizieren. Wir müssen das Ziel klar benennen und gemeinsam mit den Entscheidungsträger:innen auf verschiedenen Ebenen verbindliche Schritte zum Erreichen dieser Ziele entwickeln. Dazu gehört als ein Baustein, dass die Einführung von Honorarstandards bei öffentlichen Förderprogrammen mit einer finanziellen Aufstockung der jeweiligen Programme einhergehen muss.
Wir haben in der Vergangenheit bereits mehrfach erlebt, wie schnell aus einer MINDESThonorargrenze eine HonorarHÖCHSTgrenze werden kann. Sei es im Kontext von öffentlichen Förderprogrammen oder auch bei Verhandlungen mit Veranstalter:innen. Deshalb möchten wir an dieser Stelle betonen, dass es sich bei allen Zahlen und Empfehlungen, die bereits in der Öffentlichkeit stehen oder noch entwickelt werden, immer um eine Untergrenze handelt – niemals um eine Obergrenze! Alle Akteure, die sich mit eigenen Zahlen oder anderweitig in die Debatte um Honorarstandards einbringen, tragen die Verantwortung dafür, dies in ihrer Kommunikation immer deutlich zu machen.
Dieser Kommentar ist ein Startschuss. Wir werden uns in Zukunft aus verschiedenen Perspektiven und mit verschiedenen Schwerpunkten weiter zu dem Thema positionieren. Wir möchten uns konstruktiv, kritisch und ehrlich aus der Perspektive der freien Ensembles und Orchester und ihrer Musiker:innen einbringen und die Einkommenssituation in der freien Musikszene verbessern.
Für den weiteren Weg haben wir vor allem zwei Anliegen:
Wir appellieren an alle Initiativen, die sich mit der Entwicklung von Honorarempfehlungen auseinandersetzen, insbesondere an diejenigen, die bereits ein konkretes Zahlenwerk veröffentlicht haben: Lasst uns den Fokus auf Transparenz, Aufklärung und die Suche nach den richtigen Vergleichs- und Bezugsgrößen legen und die Frage danach, wie die Spezifika selbstständiger Arbeit in einem Berechnungsmodell abgebildet werden können, nicht unterschätzen. Das kann in der Konsequenz auch bedeuten, dass die ein oder andere Empfehlung von Mindest-Sätzen einer Überarbeitung bedarf.
Wir wünschen uns einen offenen Austausch und konstruktive Zusammenarbeit mit anderen Verbänden und Netzwerken. Denn das Thema ist komplex. Lasst uns unsere konkreten Vorschläge, unser Wissen und unsere Ideen jetzt zusammenbringen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Auf Bundesebene zum Beispiel im Rahmen eines vom Deutschen Musikrat organisierten Austausches. Oder auf den Landesebenen in Gesprächsrunden auf Augenhöhe, die die verschiedenen Vertreter:innen der freien Szene, Kulturverwaltungen, Ministerien, Fördereinrichtungen und Co. an einen Tisch bringen.