Vom Projekt zum Prozess: Wie gelingt mehr Strukturförderung für freie Klangkörper?
am 10. Oktober 2023 in der Urania Berlin
Seit über 40 Jahren prägen freie Ensembles und Orchester die Musiklandschaft als Innovationsmotoren entscheidend mit. Sie setzen neue Maßstäbe in der Repertoireentwicklung, Aufführungspraxis und in der Entwicklung neuer Konzertformate. Ohne sie klänge die Kunstmusik heute weniger facettenreich und aufregend.
Dabei sind sie ein Gegenentwurf zum Modell der tariflich organisierten und öffentlich getragenen Konzert- und Theaterorchester mit festangestellten Musiker*innen: Als privatwirtschaftlich getragene Unternehmen entwickeln sie dynamische Organisationsmodelle, in denen sich die Musiker*innen die unternehmerische Führung teilen und gemeinsam die künstlerische und strategische Ausrichtung gestalten. Bei aller Flexibilität sind ihre Strukturen und Organisationsmodelle auf Langfristigkeit angelegt – sowohl in der Zusammensetzung der Musiker*innen als auch mit Blick auf unternehmerische Strategien sowie finanzielle und künstlerische Planung.
Doch die Fördersystematik der Bundesrepublik Deutschland hält zu wenige Antworten für diese spezifische Organisationsform bereit. Denn Förderung bleibt in Form von Projektförderungen meist kurzfristig und fast immer an einzelne künstlerische Vorhaben gebunden. Es fehlt an Fördermaßnahmen, die eine Existenzsicherung ermöglichen; die auf den Aufbau, die Weiterentwicklung und Verstetigung von Verwaltungsstrukturen ausgerichtet sind und die langfristig in Personal, Infrastruktur oder auch Öffentlichkeitsarbeit investieren.
Es wird also höchste Zeit, dass die förderpolitischen Rahmenbedingungen endlich zu den Entwicklungen in der Klangkörperlandschaft aufschließen und den Bedarfen der freien Ensembles und Orchester Rechnung tragen. Doch wie kann dies gelingen? Darüber möchten wir mit Ihnen ins Gespräch kommen!
Wir laden Sie herzlich ein zu einer Diskursveranstaltung über neue Wege, Notwendigkeiten und Konzepte in der Förderlandschaft für freie Klangkörper. Gemeinsam mit Vertreter*innen von Ensembles und Fördergeber*innen, Politik und Verwaltung möchten wir mit Ihnen Ideen für struktur- und prozessbezogene Fördermaßnahmen entwickeln.
10. Oktober 2023, 10.00 – 17.00 Uhr
Saal Voltaire in der Urania, An der Urania 17, 10787 Berlin
Wir beginnen mit einer Bestandsaufnahme und widmen uns aus verschiedenen Perspektiven dem Status quo: Wir werfen einen kritischen Blick in die Bundesländer Bremen, Nordrhein-Westfalen und Berlin, lassen uns von Ensemble-Vertreter*innen in die Herausforderungen ihres Arbeitsalltags mitnehmen und fragen uns mit kurzen Exkursen ins Ausland: Ist das Gras woanders vielleicht doch grüner?
Der Nachmittag steht ganz im Zeichen der gemeinsamen Arbeit: In vier verschiedenen Workshops laden wir Sie ein, Ihre Ideen und Expertise einzubringen:
WORKSHOP 1: Wann ist ein freies Ensemble ein freies Ensemble? Über Stammbesetzungen, die Verbindlichkeit von Strukturen und Definitionen
WORKSHOP 2: Fokusverschiebung – weg vom künstlerischen Endprodukt, hin zur Struktur – was sollten Strukturförderprogramme abdecken?
WORKSHOP 3: Anschlussförderung & Evaluation… Wie nach 3 Jahren nicht direkt wieder Schluss ist
WORKSHOP 4: Abseits von Förderprogrammen – Weitere Möglichkeiten zur strukturellen Stärkung der Klangkörper-Landschaft
Zum Abschluss kommen wir alle für eine Präsentation und Reflexion der Workshop-Ergebnisse zusammen. Gemeinsam wollen wir uns hier besonders der Rolle des Bundes in der Weiterentwicklung unserer Fördersystematiken widmen.
Der Diskurs wird moderiert von Andrea Thilo. Das detaillierte Programm gibt es hier:
Teilnahme
Die Teilnahme an der Diskursveranstaltung „Vom Projekt zum Prozess: Wie gelingt mehr Strukturförderung für freie Klangkörper?“ ist kostenlos. Voraussetzung ist eine erfolgreiche Anmeldung über survio und eine Bestätigung der Teilnahme per E-Mail.
Sollte Ihnen eine Teilnahme doch nicht möglich sein, bitten wir darum, uns möglichst frühzeitig zu informieren. Bei Rückfragen wenden Sie sich an Jelena Jakobi: jakobi@freo-netzwerk.de
Veranstaltungsort
Saal Voltaire in der Urania
An der Urania 17
10787 Berlin
Anfahrt per ÖPNV
U-Bahnhof Wittenbergplatz: U1, U2, U3
Bushaltestelle An der Urania: Linien 106, 187, M19, M46, N1, N2, N26
U-Bahnhof Nollendorfplatz: U1, U2, U3, U4
Verpflegung
Für die Teilnehmer*innen werden ganztags Getränke (Wasser, Tee, Kaffee) und ein Mittagsimbiss (vegan/vegetarisch) zur Verfügung gestellt.
Dokumentation
Wir weisen darauf hin, dass die Diskursveranstaltung mit Fotos, Audio- und Videoaufnahmen dokumentiert wird und die Aufnahmen im Rahmen der Dokumentation veröffentlicht werden. Wenn dies nicht gewünscht ist, bitten wir um einen entsprechenden Hinweis zu Beginn der Veranstaltung.
WORKSHOP 1: Wann ist ein freies Ensembles ein freies Ensemble? Über Stammbesetzungen, die Verbindlichkeit von Strukturen und Definitionen
Bei Förderprogrammen gilt es immer auch die Zielgruppe bzw. Antragsberechtigten zu beschreiben und einzugrenzen. So richten sich die Strukturförderprogramme in NRW, Berlin und Bremen grundsätzlich an freie Ensembles und Orchester mit einer festen Mitgliederstruktur und Kontinuität in der Arbeit – eben in Abgrenzung zu „Ensembles, die sich für einzelne Projektmaßnahmen zusammenfinden und nicht das Ziel einer gemeinsamen Ensemblebildung verfolgen.“ (Fördergrundsätze NRW).
Was in der Theorie einleuchtend erscheint, wird in der praktischen Umsetzung schnell knifflig. Denn die Entwicklung allgemeingültiger Kriterien für eine Beschreibung oder auch Abgrenzung der Organisationsform „freier Klangkörper“ ist schwierig – zu sehr unterscheiden sich ihre Vertreter*innen in Organisationsform, Trägerstruktur, Budgetzusammensetzung, Aktivitätsgrad oder dem Verhältnis der einzelnen Ensemblemitglieder zur Organisation selbst.
Was bedeutet also Stammbesetzung bzw. feste Mitgliederstruktur und wie lässt sich diese belegen?? Welche Rolle spielt der Wohnort der Mitglieder? Was muss ein Ensemble mitbringen, um Kontinuität in der Arbeit nachzuweisen? Und wie können unterschiedliche Entwicklungsstadien (Newcomer bis Alte Hasen) im Wettbewerb um Fördergelder berücksichtig werden?
Der Workshop geht diesen und anderen Fragen nach, auf der Suche nach Ansätzen für Definitionen und Charakteristika freier Ensembles und Orchester und eine „szene-gerechte“ Beschreibung von Zielgruppen und Antragsberechtigten.
WORKSHOP 2: Fokusverschiebung – weg vom künstlerischen Endprodukt, hin zur Struktur. Was sollten Strukturförderprogramme abdecken?
Eigentlich scheint die Sache klar: Strukturförderungen sollten die Finanzierung all jener allgemeinen Kosten zum Fokus haben, die man mit langfristigen Verwaltungsstrukturen einer Organisation in Verbindung bringt und die auch unabhängig von einem einzelnen künstlerischen Vorhaben entstehen: Personalkosten, Mieten, Ausstattung, Akquise, Öffentlichkeitsarbeit etc. Dennoch gibt es auch Beispiele in der Förderlandschaft, die hier Grenzen setzen. So heißt es bei der Ensembleförderung in NRW:
„Zu den grundsätzlich förderfähigen Ausgaben gehören insbesondere
– projektbezogene Ausgaben […]
– allgemeine Ausgaben für Planung, Organisation, Probenräume, Verwaltung, Werbung, Akquise, Öffentlichkeitsarbeit und künstlerische Leitung.
Anteil der allgemeinen Ausgaben darf insgesamt nicht 30 v.H. der zuwendungsfähigen Ausgaben überschreiten.“
Wir fragen uns: ist diese Begrenzung im Kontext einer Strukturförderung sinnvoll?
Der Workshop stellt die Frage, welche Ausgaben im Fokus einer Struktur- und prozessbezogenen Förderung stehen sollten – und welche vielleicht auch nicht. Ausgehend von existierenden Strukturförderprogrammen und der Arbeitsrealität freier Klangkörper soll ein Katalog erarbeitet werden, der Finanzierungsbedarfe benennt.
WORKSHOP 3: Anschlussförderung & Evaluation…. wie nach 3 Jahren nicht direkt wieder Schluss ist
Strukturförderprogramme sind anders als institutionelle Förderungen in der Regel zeitlich begrenzt – auf ein, zwei oder auch mal drei Jahre. Sie müssen dann wieder neu beantragt und bewilligt werden. Eine Anschlussförderung ist niemals gesichert; die Existenzsicherung hängt immer wieder am seidenen Faden. Wir müssen uns also der Frage stellen: „Was passiert nach der Förderung?“
Zum einen, weil die Szene immer weiterwächst. Stetig gründen sich neue freie Ensembles und bereichern die, die schon da sind. Zum anderen, weil das Wegbrechen einer Strukturförderung automatisch mit einem Einbruch aufgebauter Strukturen einhergeht und freie Klangkörper in ihrer Entwicklung zurückwirft. Schon 2013 wurde im Gutachten „Zukunft der Bundesmusikförderung“ festgestellt: „Die große Herausforderung bei der Entwicklung von Förderinstrumenten für diesen Bereich wäre einerseits, eine Förderung zu etablieren, die eine nachhaltige Entwicklung der freien Gruppen sichert, die andererseits aber so flexibel ist, dass immer wieder neue Entwicklungen berücksichtigt werden können, ohne dass regelmäßig mehr Geld zur Verfügung steht.“
„Wie verhindern wir also einen Closed-Shop?“ ist die Frage dieses Workshops. Wie können neue Gruppen in die Reihen der Strukturgeförderten aufgenommen werden, ohne dass die bereits geförderten in ihrer Entwicklung wieder rapide einbrechen? Welche Rolle könnten Evaluations-Modelle für Geförderte spielen, deren Ergebnisse in die Entscheidung über eine Anschlussförderung einfließen?
Workshop 4: Abseits von Förderprogrammen – weitere Möglichkeiten zur strukturellen Stärkung der Klangkörper-Landschaft
Strukturförderprogramme sind für die individuelle strukturelle Weiterentwicklung und Sicherung eines freien Klangkörpers notwendig. Sie sind aber nur eine Maßnahme, um zur strukturellen Stärkung der freien Klangkörperlandschaft beizutragen. Und es ist zu kurz gedacht, wenn wir uns in der Auseinandersetzung mit kultur- und förderpolitischen Reformen lediglich auf die Etablierung von Förderprogrammen konzentrieren. Denn die Realität ist: Kulturhaushalte und Fördervolumen sind endlich.
Was brauchen freie Klangkörper noch, um gut arbeiten zu können? Wie sieht es beispielsweise mit Räumen zum Arbeiten, Proben und für öffentliche Aufführungen aus? Ensembleorte wie das Ensemblehaus Freiburg, der Resonanzraum in Hamburg oder auch das Betriebswerk in Heidelberg bieten große Potentiale für eine strukturelle Stärkung freier Klangkörper. Sie tragen gleichzeitig zu einer stärkeren Verortung der Ensembles in ihrer Stadtgesellschaft bei. Wo könnten und sollten wir vielleicht auch näher zusammenrücken und Ressourcen besser teilen, indem Institutionen und Freie Szene neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit finden?
Der Workshop weitet den Blick und sammelt Ideen für eine strukturelle Stärkung der freien Klangkörperlandschaft.
„Vom Projekt zum Prozess: Wie gelingt mehr Strukturförderung für freie Klangkörper?“ ist eine Diskussionsveranstaltung des FREO – Freie Ensembles und Orchester in Deutschland e.V. Die Veranstaltung ist Teil des FREO-Projekts PERSPEKTIVEN – Professionalisierung, Nachhaltigkeitsstrategien und Resilienz für die freie Musikszene, gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.