Nichts gelernt...

FREO e.V. blickt mit Sorge in die Zukunft der freien Klangkörper

Die Konzertkalender der freien Ensembles und Orchester sind seit einiger Zeit wieder gut gefüllt. Die Vielfalt der Angebote und die relative Normalität in der Arbeit haben in den letzten Monaten zu Freude und Erleichterung nicht nur auf Seiten des Publikums, sondern auch auf Seiten der Künstler*innen geführt.

Doch der Schein trügt: Das Zusammenfallen der Erholungsphase nach mehr als zwei Jahren Pandemie mit Preissteigerungen bei Reise-, Unterbringungs-, Produktions- und Energiekosten, sinkenden Gagen und einbrechenden Kulturhaushalten erschweren die Arbeitsfähigkeit der freien Klangkörper und bedrohen ihre Existenz. Hinzu kommt nicht nur ein verändertes Konsumverhalten beim Publikum; Veranstalter*innen sind zögerlich in der Vereinbarung von Engagements und zeigen Zurückhaltung in der Programmplanung. Während vor der Pandemie ein mehrjähriger Planungsvorlauf die Normalität war, wissen viele freie Klangkörper zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einmal, wie für sie das Jahr 2024 aussehen wird.

Nichts gelernt nach mehreren Jahren Pandemie? Der Kulturfonds Energie geht an Bedarfen vorbei

Unterstützungsmaßnahmen wie der kürzlich aufgelegte Kulturfonds Energie helfen den freien Klangkörpern nur bedingt, da er an ihren wesentlichen Bedarfen vorbeigeht. So schließt der Fonds beispielsweise einen Energiekostenzuschuss für Arbeitsstätten für die Produktion und Vorbereitung von Kunst kategorisch aus, da diese Orte nicht dazu dienen, einem Publikum ein öffentlich zugängliches Kulturangebot bereit zu stellen. Diese haarscharfe Trennung von Produktion und Durchführung einer Veranstaltung verkennt aber, dass freie Klangkörper in der Regel Probenräume anmieten müssen. Auch hierfür sind die Kosten erheblich gestiegen, sodass die Durchführung von Veranstaltungen wegen erschwerter Vorbereitungsbedingungen bedroht ist.

Gleichzeitig sind freie Klangkörper dem guten Willen von Kultureinrichtungen, von denen sie entweder für Konzerte engagiert werden oder die sie selbst als Kulturveranstaltende für Eigenproduktionen anmieten, ausgeliefert. Denn ist besagte Kultureinrichtung beim Kulturfonds Energie antragsberechtigt, entfällt die Möglichkeit für den Veranstaltenden einen Antrag auf Unterstützung zu stellen – selbst wenn sich die Kultureinrichtung gegen eine Antragstellung entscheidet.

Wir fordern die Verantwortlichen auf Bundes- und Landesebene auf, entsprechende Nachbesserungen für Kulturveranstaltende beim Kulturfonds Energie vorzunehmen:

  1. Unterstützung bei der Anmietung und dem Betrieb von Arbeitsstätten für die veranstaltungsbezogene Produktion und Vorbereitung von Kunst.
  2. Ausweitung des pauschalen Festbetrags, der nur für den tatsächlichen Veranstaltungstag gezahlt wird, auf Zeiträume für Auf- und Abbau und sonstige Vor- und Nachbereitungen, die im angemieteten Veranstaltungsort notwendig sind.
  3. Antragstellung für Kulturveranstaltende zulassen, wenn angemietete Kultureinrichtungen keinen Gebrauch von ihrer Antragsmöglichkeit machen.
Zukunfts- und Krisenvorsorge unter den Bedingungen des Zuwendungsrechts: Rücklagenbildung möglich machen

Grundsätzlich stellen wir in der angespannten Situation wieder einmal fest, dass die Auswirkungen der sich überlagernden Krisen auch deshalb so drastisch sind, weil freie Ensembles und Orchester keine ihren Arbeitsstrukturen entsprechenden Finanzierungsmöglichkeiten haben. Der Überhang an zeitlich begrenzten künstlerischen Projektförderungen und das Fehlen von prozess- und strukturbezogenen Fördermaßnahmen mit längeren Zeiträumen und mehr Flexibilität in der Mittelverwendung macht freie Klangkörper besonders anfällig für Krisen. Gleichzeitig wird eine geeignete Zukunfts- und Krisenvorsorge in Form von Rücklagenbildung durch die Vorgaben des Zuwendungsrechts kontinuierlich verhindert. Der bereits in der Pandemie besonders deutlich gewordene Reformbedarf bei Förderstrukturen und Zuwendungsrecht bestätigt sich derzeit aufs Neue.

Wir appellieren an die kultur- und haushaltspolitischen Entscheidungsträger*innen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, die Entwicklung und Etablierung von struktur- und prozessbezogenen Förderprogrammen in den Fokus ihrer förderpolitischen Arbeit zu stellen und das Zuwendungsrecht mit Blick auf die Möglichkeit der Rücklagenbildung weiterzuentwickeln.

Zukunftsfähige Kulturpolitik: Förder- und ordnungspolitische Antworten für die Freie Szene

Die deutsche Orchester- und Ensemblelandschaft besteht nicht nur aus staatlich getragenen Konzert- und Theaterorchestern. Seit mittlerweile über 40 Jahren prägen freie Ensembles und Orchester die Musiklandschaft entscheidend mit. Es sind die freien Klangkörper, die bei Repertoireentwicklung, Interpretationen und Aufführungspraxis neue Maßstäbe insbesondere in der zeitgenössischen und Alten Musik und in der Entwicklung neuer Konzertformate setzen. Es sind die freien Klangkörper, in denen in flexiblen und agilen Organisationsstrukturen neue Modelle der Zusammenarbeit erprobt werden und Musiker*innen gemeinsam die künstlerische, unternehmerische und strategische Führung übernehmen. Und es sind die freien Klangkörper, die mit ihren Bestrebungen zu Innovation, Paradigmenwechsel sowie kontinuierlicher Bezugnahme auf gesellschaftliche und politische Prozesse eine entscheidende Rolle in der gesellschaftlichen Transformation einnehmen.

Dabei sind sie keine losen Zusammenschlüsse! Bei aller Flexibilität sind ihre Strukturen und Organisationsmodelle auf Langfristigkeit angelegt – sowohl in der Zusammensetzung der Musiker*innen (Stammbesetzung) als auch mit Blick auf Organisationsstrukturen, unternehmerische Strategien sowie finanzielle und künstlerische Planung. Es wird höchste Zeit, dass die förder- und ordnungspolitischen Rahmenbedingungen endlich zu den Entwicklungen in der Klangkörperlandschaft aufschließen und den Bedarfen einer Freien Szene Rechnung tragen.

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