Das aktuelle Zeitgeschehen verlangt von unserer Gesellschaft Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Die Kulturbranche ist davon nicht ausgenommen. Freie Ensembles und Orchester sind diesem Zeitgeist voraus und stehen als Modellorganisationen für neue Formen der Zusammenarbeit – geprägt von Agilität, Basisdemokratie und Shared Leadership. Denn hier übernehmen die Musiker:innen gemeinsam die künstlerische, unternehmerische und strategische Führung. Freie Klangkörper sind Organisationen mit großem Potential für die Selbstverwirklichung für jeden Einzelnen. Sie sind Innovationstreiber, setzen neue künstlerische Schwerpunkte, erproben ungewöhnliche Formate. Sie suchen die Nähe zum Publikum, zum Ort, an dem sie wirken und arbeiten inhaltlich am und mit dem Puls der Zeit.
Sie sind Modelle für neue Institutionen der Musiklandschaft.
Doch die Fördersystematik in Deutschland hält zu wenige Antworten für diese neuen Institutionen und ihre spezifische Organisationsform bereit. Denn es überwiegt noch immer das Modell der Projektförderung, das einzelne künstlerische Ergebnisse anstatt Prozesse und Strukturen in den Mittelpunkt rückt.
Ausbeutung, Prekarisierung sowie strukturelle Stagnation gehören dadurch zum Alltag, wie die Grundlagenstudie Freie Ensembles und Orchester in Deutschland. Charakteristika einer vielfältigen Landschaft deutlich zeigt. 445 freie Klangkörper verschiedener Genres haben an der Umfrage teilgenommen.
Musiker:innen übernehmen zusätzlich zu ihrer künstlerischen Tätigkeit Aufgaben in der Unternehmensführung, z.B. im Bereich Management, Verwaltung, Akquise und Öffentlichkeitsarbeit. Das kann eine Chance für die persönliche Weiterentwicklung sein. Es ist aber in allererster Linie Ausbeutung, da der Großteil dieser Arbeiten unentgeltlich erfolgen muss. Ein paar Beispiele:
Ursache für diese Situation: das Modell der Projektförderung (84,1% finanziert sich darüber). Projektförderung erlaubt in der Regel keine Finanzierung von laufenden Personal- und anderen Strukturkosten. Damit steht sie diametral zu den auf Langfristigkeit angelegten Strukturen freier Klangkörper. Entsprechend gestalten sich auch ihre größten Herausforderungen:
In der Corona-Pandemie wurde durch das NEUSTART KULTUR Programm für freie Musikensembles deutlich, wie wirkmächtig, nachhaltig und sozial Förderung sein kann, wenn sie die spezifischen Strukturen und Bedarfe freier Klangkörper adressiert und ihre Innovationskraft ernst nimmt. Das Förderprogramm war inhaltlich offen gestaltet. Es rückte langfristige Prozesse und strukturelle Notwendigkeiten in den Mittelpunkt. Es ermöglichte den Geförderten frei zu entscheiden, wie sie die Förderung am sinnvollsten einsetzen können.
Mit Erfolg. 379 freie Klangkörper wurden nicht bloß am Leben gehalten. Ihnen wurde die Finanzierung von laufenden Kosten und eine angemessene Honorierung von Probenarbeit ermöglicht. Ihnen wurde Planungsperspektive und Planungssicherheit gegeben. Die Ergebnisse der Evaluation bestätigen das:
Die ausschlaggebenden Merkmale, die zum Erfolg des Förderprogramms führten, waren:
Es wird Zeit, dass die Fördersystematiken endlich zu den Entwicklungen in der Klangkörper-Landschaft aufschließen. Die Förderung von Kunst kann nicht nur bedeuten, in einzelne künstlerische Projekte zu investieren. Damit gute Projekte entstehen können, braucht es eine Basis aus verlässlichen Strukturen, Planungsperspektive und -sicherheit:
Diese Basis wird es nur durch Strukturförderprogramme für freie Ensembles und Orchester auf Landes- und Bundesebene geben. Natürlich war ein Programm wie NEUSTART KULTUR ein Sonderfall angesichts der Auswirkungen der Corona Pandemie. Die Corona-Pandemie mag vorbei sein. Aber die freien Ensembles und Orchester und ihre spezifischen Strukturen sind geblieben. Es gab sie vor der Pandemie und es gibt sie nach der Pandemie. Und ihre Bedarfe an eine zeitgemäße, struktur- und prozessbetonte Förderung haben sich nicht verändert. Wenn wir in der Gestaltung von Förderprogrammen auf Prozesse statt Endprodukte, Langfristigkeit statt Kurzfristigkeit, auf Festbetrag statt Fehlbetrag und auf inhaltliche Freiheit, Vertrauen und Nähe zur Szene setzen, dann bekommen wir am Ende nicht nur großartige Konzerte, sondern investieren in die Professionalisierung, Verstetigung und Weiterentwicklung freier Ensembles und Orchester und bekämpfen das Prekariat in der freien Musikszene.
Zielgruppe: professionelle Orchester, Ensembles und Gruppen in freier Trägerschaft und fester Struktur.
Laufzeit: 2-3 Jahre
Ziele: Individuelle Unterstützung von freien Klangkörpern in ihrem jeweiligen Entwicklungsstadium durch eine strukturelle und prozessorientierte Förderung.
Strukturelle Weiterentwicklung, Sicherung der Organisation und Verbesserung der Arbeitsbedingungen: Professionalisierung der Geschäftsführung und Organisation durch die Finanzierung von allgemeinen strukturellen Ausgaben wie beispielsweise (nicht abschließend) Mieten, Personal, Buchhaltung, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, künstlerische Leitung, Dramaturgie, Recherchen, Organisation, Akquise, Buchhaltung, Proberäume, Instrumente und technisches Equipment.
Freiräume für künstlerische Entwicklung schaffen durch die Finanzierung von künstlerischen Ausgaben wie beispielsweise (nicht abschließend) Honorare, Personal-, Sach- und Reisekosten zur Realisierung einzelner Projekte.
Verbesserung der Sichtbarkeit und Erhöhung der öffentlichen Wahrnehmung. Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Schaffung von Planungsperspektive und -sicherheit.
Förderhöhe: ab Minimum 75.000/Jahr. Besser ab 100.000 Euro / Jahr
Zuwendungsart: Festbetragsfinanzierung